2016
marsch der frauen
EntArteOpera 2016
Projekt Wien 2016
THEMENSCHWERPUNKT Verfemte und Vergessene Komponistinnen
Ausstellung
Marsch der Frauen
Ungehörige Komponistinnen zwischen Aufbruch, Bruch & Exil
hilde loewe
Hilde Loewe
Zwischen Wien und London bewegt sich das Leben einer Pianistin mit vielen Namen und Talenten.
Sie erschien als Hilda Löwi, Hilde Löwe, Hilde Loewe oder Hilda Flatter als Solopianistin,
Korrepetitorin, Kriegskrankenschwester, Sportlerin oder Konzertorganisatorin. Unter ihrem
Pseudonym Henry Love aber schrieb sie als Komponistin 1927 einen Schlager – Das alte Lied –
der zum Evergreen wurde. In einer Bearbeitung für Zither von Anton Karas fand er Aufnahme in
dem berühmten Nachkriegsfilm Der dritte Mann ohne gebührenden Hinweis auf das Original.
„Es ist ja nur das alte Lied, die Liebe kommt, die Liebe geht...“ Das alte Lied, Henry Love
„Katinka weiß genau, wie man lebt und lacht, darum hat ihr das Leben nie Kummer gemacht.“ Katinka, Foxtrott, Worte und Musik Henry Love
Hilde Loewe alias Henry Love (1895–1976) Ein überraschendes Multitalent
Wien–London – Das alte Lied und Der dritte Mann
Zur Welt kam sie als Hilda Löwi am 8. Juli 1895 als Tochter des Kaufmanns Ernst Löwi und seiner Frau
Szeréne, geborene Jonász, in Wien. Beide waren jüdischen Glaubens. Ihr Studium im Fach Klavier
absolvierte sie mit Auszeichnung an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst. Bereits mit
18 Jahren trat sie als Pianistin in den Wiener Konzertsälen auf. Der Kriegsausbruch unterbrach
ihre aufstrebende Karriere. 1918 unterzog sie sich einer Psychoanalyse bei Victor Tausk und
verliebte sich in den Therapeuten. Sein Selbstmord beendete 1919 die Beziehung.
Von der Korrepetitorin zur Schlagerkomponistin
Bedeutete das Jahr 1919 in privater Hinsicht eine Tragödie, so beinhaltete es in beruflicher
Hinsicht eine Wende. 1919 trat Hilde Loewe erstmals als Klavierbegleiterin des Schauspielers
Raoul Aslan auf. In der Folge schrieb sie zahlreiche Lieder, Chansons, Schlager und Tänze für
beschwingte Unterhaltung. Manche von ihnen machten ihren Weg in die Internationalität und wurden
zum Evergreen. Bei öffentlichen Auftritten trug sie ihr schwarzes Haar zu einem Knoten im Nacken
zusammengebunden. Die Elegante glänzte gleichzeitig als vielseitige Sportlerin, ambitionierte
Reiterin, Tennisspielerin, Schwimmerin, Skifahrerin und besaß einen „Herrenführerschein“.
In der Zwischenkriegszeit arbeitete sie als erfolgreiche Pianistin und Komponistin. Das Repertoire
der Erfolgreichen reichte virtuos von der Klassik bis zur Moderne. 1927 verlegte der Wiener Bohème-
Verlag ihre erste Komposition Das alte Lied, das sie Raoul Aslan widmete. Fritz Löhner-Beda verfasste
dazu, unter dem Namen Beda, den Text. Es wurde ein Welterfolg und in der Zwischenkriegszeit vom Wiener
Startenor Richard Tauber gesungen, der es in seinem ersten Tonfilm aus dem Jahre 1929/30 Ich glaub’
nie mehr an eine Frau, interpretierte. Rudolf Schock oder Marlene Dietrich nahmen es ebenfalls in
ihr Repertoire auf. Um 1930 sind zahlreiche Konzerte Hilde Loewes mit der Wiener Violinistin Alma
Rosé belegt, mit der sie in Europa auf Tournee ging.
Hilde Loewe war als Komponistin, wie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen, mit den gesellschaftlichen
Vorurteilen einer Frau gegenüber konfrontiert. Unter dem männlichen Henry Love schrieb sie fortan
beschwingte Unterhaltungsmusik wie Walzerlieder, Slow Fox, Foxtrott oder Tangos.
Das alte Lied und Der dritte Mann
Loewe heiratete erst 1934, im Alter von 39 Jahren den geschiedenen Maler und Bühnenbildner
Otto Flatter und zog noch im gleichen Jahr mit ihm nach London. Internationale Auftritte
dokumentieren bis zum Jahr 1938 ihre rege Reisetätigkeit als Konzertpianistin. Nach Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs wurde der berufliche Ortswechsel zu einem erzwungenen Exil und beide
Kunstschaffenden zu Flüchtlingen. Das Paar überlebte und erhielt 1947 die englische Staatsbürgerschaft.
Das alte Lied, ein langsamer Walzer, war bereits ein Evergreen, als es nach dem Zweiten Weltkrieg
neu aufgelegt und von Peter Schreier oder Hildegard Knef interpretiert wurde. 1955 sang es
Rudolf Schock im Film Der fröhliche Wanderer. 1948 beauftragte der englische Filmregisseur
Carol Reed den Wiener Zitherspieler Anton Karas für die Begleitmusik zu dem Film Der dritte
Mann. Anton Karas griff bei seinen Adaptionen für Zither auf Henry Love’s Das alte Lied zurück
und integrierte die Komposition einer ungewöhnlichen Frau in sein Werk ohne deren Copyright zu
wahren.
Hilde Loewe arbeitete in ihrer neuen englischen Heimat als Korrepetitorin, Komponistin und Musikpädagogin.
Sie starb am 15. März 1976 im Alter von 81 Jahren in London. Erst in den letzten Jahren wurden ihre
Chansons durch die deutsche Sängerin und Musikwissenschafterin Evelin Förster wiederentdeckt und zur
Aufführung gebracht. Ihr Nachlass liegt im Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek
in Frankfurt/Main. Darin findet sich die Operette Der Fensterputzer von Monte Carlo –
An der blauen Riviera. Schätzungen zufolge in den 1940er bis 50er Jahren entstanden,
markiert sie den starken Wienbezug der Komponistin, die dazu sowohl Text als auch Musik
verfasste. Somit ist diese Operette ein musikalisches und historisches Zeugnis einer
Wienerin, die in London den Traditionen ihrer Heimatstadt treu geblieben ist. Das Wiener
Musiktheater ZOON brachte die Operette 2013 zur Uraufführung. Weitere hinterlassene
Kompositionen harren noch der Entdeckung.
Dr.in Lisa Fischer
Werkverzeichnis:
Der Fensterputzer von Monte-Carlo | undatiert | Musical
Lieder:
Das alte Lied | 1927 | Beda
Du kannst mich nicht zwingen | 1927 | Knepler
Verklungen | 1927 | Steinberg-Frank
Madelon! „Dunkel wie die Nacht“ | 1928 | Steinberg-Frank
Spät kam Dein Brief | 1929 | Steinberg-Frank
Du hast mich längst vergessen | 1930 | Beda
Komm' mir nicht mit Liebe | 1930 | Beda
Bleib mir treu | 1931 | Beda
Gianitta | 1931 | Love
Es kam das Glück zu mir | 1931 | Steinberg-Frank
Wenn der Soldat seinen Ausgang hat | 1934 | Steinberg-Frank/Love
Gestatten Sie mir, mein Fräulein | 1935 | Love
Es erzählen die Geigen, was Frauen verschweigen | 1937 | Love
Filmschlager I Ich glaub nie mehr an eine Frau I Der dritte Mann I
*** Zahlreiche unveröffentlichte Manuskripte ***