2013
franz schreker
Franz Schreker gehört zu den interessantesten Komponisten des 20. Jahrhunderts, ein Grenzgänger zwischen den Zeiten,
ein unermüdlich suchender Künstler auf dem Weg eines neuen psychologischen Musiktheaters.
In den 20er Jahren war Schreker einer der erfolgreichsten Opernkomponisten. Durch die Nationalsozialisten als "entartet" diffamiert,
geriet sein Werk fast komplett in Vergessenheit. Schrekers Moderne liegt in ihrer speziellen Klanglichkeit. Seine Musik ist ein
Seismograph des Unbewussten mit all seinen ungeordneten sprunghaften Prozessen. Ohne Scheu vor Tabubrüchen und Provokation
thematisiert Schreker die neuartige psychoanalytische Sicht auf Eros und Sexus in seinen Werken. Als Künstler hat er die Erkenntnisse
seiner Zeit sinnlich wahrnehmbar gemacht. Die Eindrücke seiner Auseinandersetzung mit den Schriften Sigmund Freuds und Otto Weiningers
ließ er in die Psychologie seiner Figuren einfließen. Es ist die unsterbliche Sehnsucht des Menschen, die in harter Konfrontation mit einer
feindlichen Umwelt zugrunde geht. Das vielfach Gebrochene, die musikalische Ambivalenz, das geheimnisvolle Zwielicht von Schrekers Musik
sprechen ihre eigene Sprache - eine Modernität, die es heute wieder zu entdecken gilt.
franz schreker
Franz Schreker, Sohn eines jüdischen Hofphotographen aus Böhmen und einer Mutter aus einer altsteirischen Adelsfamilie wurde 1878 in Monaco geboren und wuchs nach einem Aufenthalt in Linz (1881-1888) in Wien auf. Er studierte in Wien u.a Komposition bei Robert Fuchs. 1911 übernahm er die Leitung des von ihm gegründeten Philharmonischen Chores, seit 1912 leitete er selbst eine Kompositionsklasse am Konservatorium in Wien. Die zunehmende Wertschätzung des Komponisten brachte ihm die Direktorstelle an der Berliner Musikhochschule, wo er von 1920 bis 1931 tätig war. Hier wirkte Schreker als geschätzer Pädagoge. Zu seinen Schülern zählen Erst Krenek, Alois Haba, Karol Rathaus, Berthold Goldschmidt. Bereits in den späten 1920er-Jahren war Schreker Angriffsobjekt der Kulturpolitik der Nationalsozialisten. 1932 musste er auf Grund des NS-Terrors die in Freiburg geplante Uraufführung seiner Oper Christophorus zurückziehen und wurde zum Rücktritt von seinem Amt als Direktor der Berliner Musikhochschule gezwungen. Er verlor seine Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste und wurde jeder Wirkungsmöglichkeit beraubt. Kurz nach seiner Zwangsversetzung in den Ruhestand, den Max von Schillings verfügte, starb Franz Schreker am 21. März 1934 an einem Schlaganfall.
werk
Opern::
zudem Lieder, Orchester- und Chorwerke, Tanzpantomimen und Kammermusik;
franz schreker und linz
Schreker und Linz
"An der französischen Riviera. Orangenhain. Früheste glückliche Kindheit. Etwas später. Ein Hotel in Pola. Skorpione an den
Wänden, die mir Angst einflößen. Ein Park in Linz. Unser Gärtner, betrunken, erschlägt vor meinen Augen seine Frau; ich
war etwa acht Jahre alt. Furchtbarer, nachhaltiger Eindruck. Tod meines Vaters. Alles kracht zusammen."
So schildert Franz Schreker später in den "Erinnerungen" das traumatische Ende seiner Kindheit. Zur Welt gekommen war er am
23. März 1878 in Monaco, jedoch ist nicht anzunehmen, dass er sich später an die ersten Lebensjahre an der französischen
Riviera erinnern konnte, denn schon 1880 zog die Familie nach Istrien und ließ sich in Pola nieder.
Schrekers Vater war der einst hochangesehene jüdische Hofphotograph Ignaz Schrecker, der in Budapest ein Atelier betrieben hatte
und mit verschiedenen Prunkalben bekannt geworden war. Gemeinsam mit seiner Frau Eleonore, geborene Clossmann, unternahm er gegen
Ende der 1870er Jahre ausgedehnte berufliche Reisen durch Europa, mit längeren Aufenthalten in Belgien, Monaco und Pola, wo am
5. Juni 1881 Tochter Henriette zur Welt kam.
Noch im selben Jahr zogen Ignaz und Eleonore nach Linz-Urfahr in die Hauptstraße 30. Die wachsenden Familienpflichten waren wohl
mit ein Grund, warum man nach fünfjährigem Reiseleben sesshaft wurde. Doch der Umzug nach Linz bedeutete zugleich einen beruflichen
Abstieg für den einst so prominenten Hofphotographen. Bereits 1878, mit dem Verkauf des Budapester Ateliers, war Ignaz
Schrecker aus dem Verzeichnis der k.k. Hoftitelträger gestrichen worden. Verschiedene großangelegte Projekte, die an die
Prunkalben seiner Budapester Zeit anknüpfen sollten, konnte er nicht realisieren. Er war nun Provinzphotograph geworden,
statt Hofprominenz gehörten nun Schulklassen zu seiner Kundschaft.
Dennoch führte die Familie in Linz ein gesichertes Leben in bescheidenem Wohlstand. Im Jänner 1882 übersiedelte man in die
Jägerstraße 15, schon im November in die Marienstraße 10, wo am 15. Juli 1883 eine weitere Tochter zur Welt kam, die nach
ihrer Mutter Eleonore genannt wurde. Die Rastlosigkeit des Wanderlebens blieb auch in Linz teilweise bestehen - es sind noch
mindestens zwei weitere Adressen der Familie Schrecker dokumentiert (Humboldtstraße 19 und Landstraße 109, wo Ignaz zuletzt auch
sein Atelier hatte).
Am 10. September 1885 wurde Sohn Karl geboren, und im selben Jahr kam der kleine Franz in die Volksschule. Schrekers
Schulzeugnisse aus Linz weisen auf längere krankheitsbedingte Abwesenheiten hin. Das Schuljahr 1885/86 hat Schreker
anscheinend überhaupt großteils zu Hause verbracht. In den anderen Jahren glänzte er jedoch mit hervorragenden Schulnoten,
außer in Turnen.
Die geordneten kleinbürgerlichen Verhältnisse endeten mit einem Schlag, als Ignaz Schrecker am 22. Januar 1888 während einer
seiner beruflichen Reisen plötzlich verstarb. Ein Bericht der "Linzer Zeitung" vom 25. Januar 1888 lautet: "Der Photograph
I. F. Schrecker aus Linz, welcher sich am 21. d. behufs photographischer Aufnahme nach Ungenach, Bezirk Vöcklabruck, begeben
hatte, ist dortselbst in der Nacht auf den 22. d. im Gasthause des Joseph Mößlinger plötzlich verschieden. Die an Ort und
Stelle vorgenommene gerichtliche Obduction ergab hochgradige Tuberculose als Todesursache."
Der tragische Verlust beraubte die Familie nicht nur ihres Vaters, sondern auch ihres Einkommens. Die Ersparnisse von Eleonore
Schrecker waren bald aufgebraucht, und im Mai 1888 zog sie mit ihren vier kleinen Kindern nach Wien Oberdöbling, wo sie ihre
Familie mit Näharbeiten über Wasser halten konnte.
Franz Schreker sollte nie wieder nach Linz zurückkehren, keine einzige seiner Opern wurde hier bis jetzt gespielt, und zumindest
zu Lebzeiten sind auch keine Aufführungen anderer seiner Werke dokumentiert.
Volkmar Putz
das phänomen schreker
Das Phänomen Schreker
Die Vollendung der Schatzgräber-Partitur im November 1918 markierte den Höhepunkt von Schrekers zehnjährigem kometenhaften
Aufstiegs, der bereits mit seiner nächsten Oper Irrelohe langsam zu Ende gehen sollte. Im Sommer 1908 war ihm mit der
Uraufführung der Pantomime Der Geburtstag der Infantin bei der legendären, von der Gruppe um Gustav Klimt veranstalteten
Wiener Kunstschau der Durchbruch als Komponist gelungen. Die höchst erfolgreiche Premiere seines Opernerstlings Der ferne
Klang im Jahr 1912 katapultierte ihn in die erste Riege der zeitgenössischen Opernkomponisten, und noch im selben Jahr erhielt
er einen Lehrauftrag für Musiktheorie und Komposition an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Zwei weitere Opern folgten,
wobei er vor allem mit Die Gezeichneten (uraufgeführt im April 1918) großen Erfolg hatte, nur noch übertroffen vom Triumph des
Schatzgräbers, der im Sturmlauf sämtliche Bühnen der Weimarer Republik eroberte. Damals galt Franz Schreker längst als führender
Vertreter der musikalischen Avantgarde, und wenige Tage nach der mit Spannung erwarteten Uraufführung des Schatzgräbers wurde
er im März 1920 zum Direktor der renommierten Berliner Musikhochschule berufen. Neben vier Opern und einer Jugendoper zählten
zu seinem OEuvre bis dahin auch Klavierwerke, Lieder, Chorwerke und einige Orchesterwerke, darunter auch die während der Arbeit
am Schatzgräber im Hungerwinter 1916/17 komponierte Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente (uraufgeführt im März 1917). Später
sollten sich unter anderem vier weitere Opern und Werke für das neue Medium Rundfunk dazugesellen.
Schrekers Modernität hat viele Aspekte, die zumindest teilweise auch das Geheimnis seines Erfolgs waren, weil die den Geschmack des
ausgehenden Fin de Siècle beziehungsweise der unmittelbaren Nachkriegsjahre voll trafen. Am hervorstechendsten ist wohl seine
Auffassung vom Musiktheater als Gesamtkunstwerk, weshalb ihn der einflussreiche Musikkritiker Paul Bekker einmal als einzig
legitimen Nachfolger Wagners bezeichnete, was dem Komponisten letztlich mehr schadete als nützte. Schreker erweiterte Wagners
Dramaturgie durch visuelle und akustische Effekte, welche die Möglichkeiten des Films (inklusive Montage, Nahaufnahme und
Bildschirmteilung) vorausahnen. Wie Wagner verfasste Schreker seine Libretti selbst, ging dabei für gewöhnlich jedoch nicht
von einer fertigen Operndichtung aus, sondern von einer bestimmten Klangvorstellung, aus der sich die Dramenhandlung wie von
selbst entwickelte. Im Fernen Klang ist diese Klangvision (ein geheimnisvoller Sphärenklang, dem die männliche Hauptfigur
vergeblich nachspürt) sogar explizit im Titel genannt. Auch für den Schatzgräber dient ein Klangereignis als Ausgangspunkt,
nämlich das Klingen von Elis' Laute in der Nähe von verborgenen Reichtümern - von dem in der Oper viel die Rede ist, das aber
nirgends wirklich stattfindet. Dramaturgisch ebenfalls modern und ganz dem Geist des Fin de Siècle entsprechend ist Schrekers
verfeinerte Psychologie in der Zeichnung seiner Protagonisten - nicht von ungefähr nannte er seine dritte Oper Die Gezeichneten -,
die meist sogar jene seines erfolgreichen Kollegen Richard Strauss übertrifft und mit einer sehr freien und vielfältigen
Behandlung der Singstimme einhergeht. Vor allem die weiblichen Charaktere erscheinen außerordentlich vielschichtig, meistens
in Otto Weiningerscher Manier irrational und dabei oft mehr oder weniger verworfen (wie ganz besonders Els im Schatzgräber).
Auch musikalisch galt Schreker als modern durch weitgehenden Verzicht auf klassische Funktionsharmonik, das heißt
"vorschriftsmäßige" Aneinanderreihung von Akkorden, wie sie die klassischen und romantischen Komponisten verwendeten.
Er folgt also nicht Schönberg auf dem Weg in die Atonalität und Dissonanz, sondern benützt gewöhnliche (wenn auch oft
durch "falsche" Töne angereicherte) Akkorde in neuen und ungewöhnlichen Verbindungen - wobei in dieser Hinsicht der
Schatzgräber wiederum als konventionelles Werk gelten darf. Für Schreker sind Akkorde weniger Bausteine eines harmonischen
Plans, sondern vor allem ein klanglicher Farbwert. Konsequenterweise steht bei ihm neben der Harmonik die Klanglichkeit der
Instrumente im Vordergrund, hinter welcher Rhythmus und fallweise auch melodische Linien zurücktreten. Dabei bedient sich
Schreker einer vielfältigen Stilistik, wie man sie bis dahin nur von Mahler kannte und in der das Ambitionierte und Großartige
übergangslos auf das scheinbar Gewöhnliche und Banale prallt.
Vom Kreis um Schönberg abgesehen war die musikalische Avantgarde zu Schrekers Zeit hauptsächlich mit Musiktheater beschäftigt.
Neben Strauss und Schreker komponierten auch Zemlinsky, Korngold, Braunfels und Wellesz, später noch Berg, Krenek, Hindemith
und viele andere die unterschiedlichsten Bühnenwerke. Mit dem Aufkommen der sogenannten Neuen Sachlichkeit, in der Qualitäten
wie Psychologie und Klangsinnlichkeit nicht mehr gefragt waren, war Schrekers Stellung als einer der führenden Opernkomponisten
seiner Zeit nicht mehr gänzlich unangefochten. In seinen drei letzten Opern zollte er dieser neuen Mode durchaus Tribut, konnte
aber in einem Klima des wachsenden Antisemitismus nicht mehr an seine spektakulären früheren Erfolge anschließen. Störaktionen
und aktiver Boykott durch die stärker werdenden Nationalsozialisten taten ein Übriges, und nach der "Machtergreifung" 1933 sah
sich Schreker nicht nur seiner Ämter enthoben, sondern auch seine Werke von den Bühnen verbannt.
Volkmar Putz