2014
ulenspiegel
Ulenspiegel
Oper von Walter Braunfels
Oper in 3 Aufzügen
Musik und Libretto von Walter Braunfels, nach einem Roman von Charles de Coster
Uraufführung: Stuttgart 1913
Verlag Ries & Erler
Bearbeitung für Kammerorchester von Werner Steinmetz
Musikalische Leitung // Martin Sieghart
Inszenierung // Roland Schwab
Ausstattung // Susanne Thomasberger
Orchester // Israel Chamber Orchestra
Till Ulenspiegel // Marc Horus
Nele // Christa Ratzenböck
Chor // EntArteOpera unter der Leitung von Franz Jochum
Premiere 10.9. 19:00, weitere Vorstellungen am 12.9. 19:00, 14.9. 16:00, 16.9. 19:00
Spieldauer 2 1/2 Stunden mit Pause
Tabakfabrik Linz // in Kooperation mit dem Internationalen Brucknerfest Linz 2014
ulenspiegel
Ulenspiegel - Narr der Apokalypse
Eulenspiegel, ein Schalk und Bürgerschreck als maßgeblicher Widerstandskämpfer gegen spanischen Terror?
Charles de Coster, der mit seinem Roman "Thyl Ulenspiegel" die Vorlage zu Braunfels' Oper lieferte, erzählt eines der
düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte, die spanische Inquisition im Flandern des 16.Jahrhunderts, ausgerechnet
über die Figur eines weltbekannten Possenreißers - warum? Ist einer der größten historischen Verirrungen, der
Inquisition, nur mithilfe eines Narren beizukommen? Kann allein ein sorglos-subversiver Narr Terror und Tyrannei
trotzen?
Charles de Coster entwirft ein apokalyptisches Panorama, in dem die sieben biblischen Todsünden gleich den Reitern
der Offenbarung die letzten Reste der Menschheit heimsuchen. Ulenspiegel, von Kindheit an gesegnet/verflucht mit
dem Spiegel der Wahrheit, dem Dämon der Entlarvung, lässt sich selbst durch grausame Folter, die er an sich und
seiner Familie erfährt, nicht daran hindern, ein trügerisches System lustvoll zu bekämpfen, ja, er radikalisiert
seine Mittel, wird zum tolldreisten Berserker für die Gerechtigkeit. Keine Grausamkeit, die er nicht durch eine noch
einfallsreichere Bestialität zu toppen weiß. Die verwegensten Schergen zwingt er in die Knie, den perfidesten von
allen zuletzt: den Tod selbst.
Eine Welt zwischen "Mad Max", Mc Carthy´s "The Road" und Hanekes "Wolfszeit". Postzivilisatorisches Leben zwischen
ausgebrannten Wrackteilen und ewig weiterqualmenden Barrikadenresten. Ein Planet am Verbluten.
In dieser Welt des Untergangs richtet der Komponist Walter Braunfels seinen Fokus auf Ursprung und Verlauf
von Widerstand generell. Ulenspiegel wird zur pointierten Fallstudie eines apolitischen Draufgängers, der durch
den Terror, der seiner Familie geschieht, eine radikale persönliche Wandlung erfährt. Zum Anführer des politischen
Widerstands avanciert, kennt sein Geist nur noch eines: flächendeckende Rache.
Wie viel Unfreiheit bergen Freiheitskämpfe? Wie viele Tyrannen, wie viele spätere Diktatoren und Herrscher
über Folterkeller haben als glühende Freiheitskämpfer begonnen?
Die Oper "Ulenspiegel" ist gleichzeitig ein Opus über die ungebändigte Sehnsucht nach Freiheit als auch über die
drohende Pervertierung von ursprünglichen Idealen. Welche Keimzelle kann politischer Widerstand haben? Wie fragwürdig
ist es, wenn Menschen ohne die Gabe der Empathie lediglich ihre Selbstjustiz zum Motiv eines kollektiven
Freiheitskampfes machen?
Ein fanatischer Narr kann Unterdrückung überwinden, aber auch Freiheit verspielen.
Roland Schwab
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Rezeptionsgeschichte
Bei der Uraufführung am 4. November 1913 in Stuttgart konnte der Ulenspiegel nur einen Achtungserfolg erringen. Augenzeugenberichten
zufolge war die Sängerbesetzung nicht ideal und das Werk eher schlecht geprobt, was sogar zu einem Zerwürfnis zwischen Braunfels
und dem Dirigenten Max von Schillings führte. Die etwas gar zu üppige Instrumentierung, die den Sängern das Leben schwer machte
und vor allem die Textverständlichkeit deutlich beeinträchtigte, tat ein Übriges, um die Publikumsresonanz zu bremsen. Nach
wenigen Vorstellungen verschwand das Stück wieder vom Spielplan.
Die traumatischen Erlebnisse des Ersten Weltkrieges, die Suche nach neuen, gültigen Werten und die Auseinandersetzung mit der
Religionsphilosophie mündeten bei Braunfels in der Konversion zum Katholizismus. Der antikatholische Ulenspiegel, in dem sich noch
dazu einiges von der Kriegsbegeisterung der Vorkriegsjahre niederschlug, passte nicht mehr ins Weltbild des Komponisten, und er
distanzierte sich von weiteren Aufführungsplänen. So kam es, dass das Notenmaterial des Ulenspiegel fast hundert Jahre unbeachtet
im Archiv der Staatsoper Stuttgart lag. Braunfels-Enkelin Susanne Bruse regte an, es dort aufzuspüren und das Werk einer Neubewertung
zu unterziehen.
Im Jänner 2011 wurde die Oper (mit reduzierter Bläserbesetzung) zum ersten Mal wieder gespielt, und zwar im thüringischen Gera
(Wiederaufnahme im benachbarten Altenburg 2012). Der Erfolg bei Publikum und Kritik war überwältigend, und so reifte bei EntArteOpera
der Entschluss, im Weltkriegsgedenkjahr 2014 den Ulenspiegel als österreichische Erstaufführung - in einer den akustischen Gegebenheiten
der Tabakfabrik Linz angepassten Version für kleines Orchester - auch hierzulande vorzustellen.
Volkmar Putz
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Historischer Hintergrund
Als Philipp II. im Jahre 1556 von seinem Vater Karl V. den spanischen Thron übernahm, gehörten zum Weltreich auch die Spanischen Niederlande
(ungefähr das Gebiet der heutigen Benelux-Staaten). Schon Karl V., der als gebürtiger Genter seiner Heimat zunächst Sonderprivilegien gewährt hatte,
bekämpfte den sich in den Niederlanden ausbreitenden Protestantismus.
Die unter Philipp II. zunehmend gnadenlose "Ketzer"-Verfolgung durch die Spanische Inquisition führte zu Unruhen in der Bevölkerung. Zu deren
Niederschlagung wurde 1567 der berüchtigte "Blutherzog" Alba aus Spanien entsandt, dessen brutales Vorgehen die Situation jedoch nur weiter anheizte,
bis es 1568 zur ersten militärischen Konfrontation kam. Dieses Datum markiert den Beginn des Achtzigjährigen Kriegs, an dessen Ende die
Selbständigkeit der Niederlande stand (als ein Ergebnis des Westfälischen Friedens am Ende des Dreißigjährigen Kriegs).
Die Widerstandskämpfer in diesem Befreiungskrieg nannten sich "Geusen", ein verballhornter französischer Begriff, den man sinngemäß als "Bettler"
übersetzen kann. Im Jahre 1572 (in dem die Oper "Ulenspiegel" spielt) gelang den Geusen, insbesondere den "Wassergeusen" (Seestreitkräften),
ein großer Erfolg, als sie für kurze Zeit die Provinzen Holland und Zeeland, mit dem am Nordufer der Scheldemündung gelegenen Vlissingen, von
den Spaniern eroberten.
Die heute kaum mehr bekannte Gemeinde Damme (bei de Coster Ulenspiegels Geburtsort) war der Vorhafen von Brügge, verlor aber so wie Brügge selbst
durch die Versandung der Meeresbucht Zwin im 16. Jahrhundert an Bedeutung.
Volkmar Putz
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Nach Franz Schrekers "Der Schatzgräber" im vergangenen Jahr ist die Oper "Ulenspiegel" von Walter Braunfels meine zweite Bearbeitung einer großen
Oper für Kammerorchester.
In der Musikgeschichte sehen wir häufig, dass sich Komponisten mittels einer Bearbeitung den Werken anderer Komponisten nähern.
Nach Schrekers für mich sehr introvertierten auch dunklen Musik beim Schatzgräber, fasziniert mich hier die Braunfels'sche klare Klangsprache.
Es ist wünschenswert und zu hoffen, dass solche Bearbeitungen der Wiederentdeckung der Musik solch großartiger Komponisten dient.
Werner Steinmetz
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Der Eulenspiegel-Stoff hat in neuerer Zeit mehrfach die Musiker zu dramatischer Gestaltung gereizt. Richard Strauss skizzierte ein
"Eulenspiegel"-Libretto, das später zu einer Tondichtung umgeformt wurde. Nach ihm hat Emil Nikolaus von Reznicek eine dreiaktige
"Eulenspiegel"-Oper geschaffen [...]. Mochte für Strauss das Lockende in der psychologischen Charakteristik der Schalksnarrennatur
liegen, so zeichnete Reznicek ihr tragikomisches Verhältnis zur umgebenden Welt. Wesentlich anders fasst Walter Braunfels das
Eulenspiegel-Motiv auf. Er sieht in dem Narren den unreifen Menschen, der durch ein erschütterndes Erlebnis plötzlich zum Manne
umgeschaffen wird, den diese Umwandlung nicht nur den Vater, auch die Geliebte kostet, und der trotz des zweiten Verlustes nicht
seiner Sendung untreu wird, unverbrüchlich an ihr festhält und so zum Helden emporwächst.
aus Paul Bekker: Ulenspiegel. In: Klang und Eros. Zweiter Band der gesammelten Schriften. Stuttgart und Berlin, 1922
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Die Aufnahme der Oper durch die Zuhörerschaft war so herzlich, dass Braunfels mit den Hauptdarstellern nach dem zweiten und dem dritten
Akt vor den Vorhang treten musste. Stuttgart aber darf es sich zugute rechnen, dass es diesem neuen Werke des reichbegabten
Komponisten wieder die Wege geebnet hat.
Paul Ehlers anlässlich der Stuttgarter Uraufführung in der München-Augsburger Abendzeitung vom 8. November 1913